Grian Chatten: Chaos For The Fly

Grian Chatten by Eimear Lynch

Oft sind Soloalben von Sängern erfolgreicher Bands nicht wirklich notwendig. Zeigt uns Grian Chatten von Fontaines D.C., dass es auch anders geht?

von Werner Herpell

Huch, was ist denn da passiert? Hatte man Grian Chatten nicht eben noch als durchaus auch mal zum Gebrüll neigenden Frontmann der aufstrebenden irischen Post-Punk-Formation Fontaines D.C. auf dem Schirm? Und jetzt kommt er uns schon im ersten Track seines Solo-Debüts „Chaos For The Fly“ mit akustischer Gitarre, ploppendem Beach-Boys-Bass und lieblichem Gesang daher. „The Score“ führt stilistisch nicht einmal in die Irre, denn auch danach bleibt Chatten seinem unerwarteten Singer-Songwriter-Kurs treu, zeigt seine sanfte

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Seite – und liefert eine sensationelle Platte ab.

Das Riesentalent Grian Chatten

Grian Chatten Chaos For The Fly Cover Partisan Records

Fans von Damon Albarn und Richard Hawley, denen der junge Dubliner stimmlich ähnelt, von Pulp, Billy Bragg und Arctic Monkeys (deren opulentes Meisterwerk „The Car“ aus dem Vorjahr gleich mehrfach anklingt) sollten hier unbedingt hinhören. Denn das Riesentalent Chatten schafft es scheinbar mühelos, an all diese Britpop-Ikonen heranzureichen, ohne sie jemals zu kopieren.

Wenn er in „Last Time Every Time Forever“ den traurigen Crooner gibt, in „Fairlies“ die Irish-Folk-Fiddles schwirren lässt und in „Bob’s Casino“ mit prachtvoller Burt-Bacharach-Trompete, zarten Strings, Lee-Hazlewood-Bariton und dem bezaubernden Co-Gesang seiner Lebensgefährtin Georgie Jesson goldene Sixties-Stimmungen evoziert – dann ist es zumindest um den Verfasser dieser Zeilen schon nach vier der neun Lieder geschehen. (Im berühmten Londoner Rough Trade Shop an der Talbot Road mussten es nach dem Zufallshören daher sogleich CD- und Vinyl-Ausgaben von „Chaos For The Fly“ sein.)

Im Sinne von Jarvis Cocker

„All Of The People“ schürt anschließend die Begeisterung als monumentale Ballade, der mit fünf Minuten längste Song „East Coast Bed“ bleibt in der Barock-Pop-Spur mit verschlepptem Beat, Chattens abermals reifer Gesangsleistung und melancholischer Trompete. Ein solches Lied würde man gern mal wieder von Jarvis Cocker hören, der uns bekanntlich seit längerem ein weiteres Pulp- oder Solo-Meisterwerk verweigert. „Salt Throwers Off A Truck“ hat ein freches Akustik-Punk-Folk-Flair im Sinne des oben erwähnten Mister Bragg, ehe „I Am So Far“ sogar eine Mundharmonika (von Chatten selbst) und erneut Georgie Jessons schöne Background-Vocals aufbietet, um die tiefgründigen Lyrics cineastisch auszumalen.

„Season For Pain“ ist der epische, in mehrere Teile zerfallende und doch völlig homogene Abschluss-Track eines fantastischen Albums, das im UK und in Irland neben euphorischen Kritiken sehr gute Verkäufe generiert – beides zu Recht. Man sollte sich als Reviewer eigentlich vor Track-by-Track-Albumbesprechungen hüten, weil’s dann oft arg kleinteilig und langatmig wird. Im Fall von Grian Chattens „Chaos For The Fly“ darf die Ausnahme gelten, weil jedes einzelne Lied die Betrachtung lohnt und das reichhaltige, abwechslungsreiche Mosaik dieser Platte so besser sichtbar wird.

Grian Chatten und die irischen Küstenstädte

Die Geschichte dieses recht frühen Solo-Ausbruchs aus der Erfolgsspur der Fontaines D.C. (mit „Skinty Fia“ 2022 auf Platz 1 der Albumcharts in Irland und Großbritannien) begann übrigens „dreißig Meilen nördlich von Dublin, entlang einer windgepeitschten Promenade und vergessener Küstenstädte“, wie uns die Label-PR mitteilt. Ein kleines, verstecktes Casino lieferte demnach nicht nur den Ausgangspunkt des schwelgerischen Sixties-Pop-Juwels „Bob’s Casino“.

„Ich wanderte nachts am Stoney Beach entlang, und es flog mir quasi aus den Wellen zu“, erzählt Chatten. „Ich stand nur da und schaute sie an, und da hörte ich das ganze verdammte Ding. Jeden einzelnen Teil davon, von den Akkordfolgen bis zu den Streicher-Arrangements.“ Diesem Musen-Kuss verdanken wir eines der stärksten Alben dieses Jahres.

„Chaos For The Fly“ von Grian Chatten ist am 30.06.2023 bei Partisan Records/Pias erschienen. (Beitragsbild von Eimear Lynch)

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